Krankheitsbilder zum Schwindel
Im normalen Zustand arbeiten Sinnesmeldungen aus beiden Gleichgewichtsorganen im Innenohr (Vestibuläres System), den Augen (Visuelles System) und den Rezeptoren der Muskel, Sehnen und Gelenke (Somatosensorisches System) einheitlich zusammen und leiten ihre Informationen an netzwerkartige Bereiche des zentralen Nervensystems. Das Zusammenspiel der einzelnen Systeme generiert unsere Orientierung im Raum und die Aufrechterhaltung unseres Gleichgewichts. Werden nun diese Informationssysteme oder Netzwerkstrukturen gestört, kann Schwindel, Unsicherheit und Gleichgewichtsverlust in Form von Drehen, Schwanken, Benommenheit, oder Taumel auftreten. Hier können sich entweder die Umwelt oder der eigene Körper bewegen.
Man kann drei Formen von Schwindel (in Abhängigkeit vom zeitlichen Verlauf) unterscheiden:
- Schwindelattacken (z.B. benigner peripherer paroxysmaler Lageschwindel, M. menière, vestibuläre Migräne)
- Akut einsetzender und über Tage anhaltender Schwindel (z.B. akute einseitige Vestibulopathie, Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt)
- Monate bis Jahre anhaltende Beschwerden (z.B. bilaterale Vestibulopathie, funktioneller Schwindel)
Hierbei handelt es sich um einen gutartigen kurz andauernden Drehschwindel, der durch Kopflageänderung ausgelöst werden kann. Symptome sind Sekunden bis Minuten (maximal 1-2 Minuten) lange Drehschwindelattacken, die durch bestimmte Bewegungen (Drehen im Bett, Aufrichten, Hinlegen,….) ausgelöst werden. Häufig werden diese Attacken von Übelkeit teilweise auch Erbrechen begleitet. Die Ursachen des Lagerungsschwindels sind „verrutschte“ Ohrsteinchen im Innenohr, die die Schwindelattacken bei Kopf- oder Körper-Lagewechsel auslösen. Eine Diagnostik erfolgt durch sogenannte Lagerungsproben, die die Schwindelbeschwerden provozieren. Hier kann der Ort des Lagerungsschwindel anhand der Drehschwindelbeschwerden und der bestimmten Augenbewegungen gut diagnostiziert werden. Zusätzlich erfolgt eine körperliche Untersuchung, um andere Schwindelursachen auszuschließen. Hier dürfen keine neurologischen Symptome wie Lähmungen, Sensibilitäts-, oder Sprachstörungen auftreten. Die Therapie des Lagerungsschwindels, je nach betroffenen Bogengang, erfolgt mit bestimmten Lagerungsübungen (Befreiungsmanöver), bei denen die fehlgeleiteten Ohrsteinchen wieder zurückbefördert werden.
Der funktionelle Schwindel ist ein somatoformer Schwindel, bei dem keine ausreichende organische Erklärung gefunden werden kann. Das Leitsymptom ist ein Dauerschwindel, der auch in Ruhe besteht und sich in Form eines Schwankens und/oder Benommenheitsgefühl mit subjektiver Stand- und Gangunsicherheit und Sturzangst äußern kann. Häufig findet man eine situative Verstärkung der Symptome (z.B. im Supermarkt, in Menschenmengen) und die Besserung bei Ablenkung (z.B. beim Sport). Funktionelle Schwindelbeschwerden können als Folge einer organisch vestibulären Erkrankung, oder einer extrem-belastenden Stresssituation entstehen. Unser Gehirn speichert Erfahrungswerte der vorangegangenen „fälschlichen Bewegung“ ab und vergleicht durch permanente, bewusste Kontrolle der Gleichgewichtsfunktionen, nun diese mit normalen Bewegungen. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen gespeicherter und aktueller Bewegung und diese äußert sich in Schwindel.
Wichtig ist die Absicherung durch einen Arzt, um andere mögliche Ursachen auszuschließen. Nach eingehender Untersuchung kommt es vor allem darauf an, zugrunde liegende Mechanismen zu erklären und therapeutisch zu beraten. Neben einer psychoedukativen und therapeutischen Intervention sollten Sie Schwindel auslösende Situationen nicht meiden, sondern schrittweise aufsuchen und regelmäßig leichten Sport betreiben. Bei persistierenden Beschwerden kann eine medikamentöse Behandlung erfolgen.
Hier finden sich alle Schwindelformen, die aufgrund einer Störung in den komplexen Nervenleitungen, Schaltstellen und Netzwerken des zentral-vestibulären Systems (Hirnstamm, Kleinhirn, Großhirn) entstehen. Wenn diese Vielfalt an gleichgewichtsregulierenden Verbindungen und Zentren durch neurologische Erkrankungen wie beispielweise Schlaganfälle, Durchblutungsstörungen, entzündliche Prozesse (Hirnhautentzündung, Multiple Sklerose), Tumore, oder neurodegenerative Erkrankungen gestört ist. Typische Symptome sind neben einem bewegungsabhängigem Schwank- oder Benommenheitsschwindel und einer Gleichgewichts- und Gangstörung (gelegentliche Stürze) meist noch andere körperliche Beeinträchtigungen wie Taubheitsgefühle, Lähmungen, Sprech- oder Sprachstörungen, Doppelbilder, oder mentale Probleme (Merkfähigkeit). In der klinischen Untersuchung sollte neben der ausführlichen neurologischen Untersuchung auch eine Abklärung der Ursachen für die Dauerschwindelbeschwerden erfolgen. In der Therapie stehen hier die ärztlich verordneten Behandlungsmaßnahmen, die auf der ursächlichen Erkrankung basieren, im Vordergrund. Im Rehabilitationsverlauf kann durch spezielles Bewegungstraining aus der VRT eine schnelle Erholung der geschädigten Strukturen gefördert werden und somit zu einer Schwindelreduktion führen.
Als Symptome bei einer vestibulären Migräne treten wiederholte Schwank- oder Drehschwindelattacken (Minuten bis Stunden) auf. Häufig wird der Schwindel von Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerzen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, oder durch ein Ohrgeräusch begleitet. Ursächlich kommt es zu einer vorübergehenden gutartigen Funktionsstörung in den Zentren des Gehirns (Hirnstamm, Gleichgewichtssystem). Die Diagnostik der vestibulären Migräne ist schwierig. Bei untypischen Krankheitsverläufen sollten eine MRT oder Kalorik zum Ausschluss anderer Ursachen gemacht werden. Als Therapie wird eine medikamentöse Behandlung, die vom Arzt individuell ausgewählt wird, eingesetzt. Zusätzlich können regelmäßig leichter Sport (Ausdauersport zwei- bis dreimal pro Woche), ein guter Schlaf- Wachrhythmus, eine Stressreduktion und die Veränderung der Essgewohnheiten die Attacken-Frequenz verringern.
Die Menière-Erkrankung äußert sich durch rezidivierende Schwindelattacken (Minuten bis Stunden) mit Hörstörungen, Tinnitus und Ohrdruck. Symptome sind meist wiederholt auftretende Schwindelattacken mit Übelkeit und Erbrechen. Außerdem kann eine Gangunsicherheit mit Fallneigung in der Attacke auftreten. Der Schwindel wird häufig durch eine Hörminderung, Ohrdruck und/oder einem Ohrgeräusch begleitet. Ursache ist ein pathologischer Flüssigkeitsanstieg im Innenohr, der kleine Risse in der Membran verursachen kann. Diese Risse verkleben nach der Schwindelattacke wieder selbständig. Eine Diagnostik erfolgt neben der körperlichen Untersuchung, durch einen Hörtest und durch eine Ohrspülung mit warmen und kaltem Wasser (Kalorik). Alle Untersuchungen sollten im Krankheitsverlauf wiederholt werden. Als Therapie können in den Attacken dämpfende Medikamente eingenommen werden und als prophylaktische Behandlung kann durch Medikamente die Häufigkeit der Schwindelattacken reduziert werden. Zusätzlich sollte bei Beschwerden eine vestibuläre Rehabilitation zur Besserung der Gleichgewichtsregulierung erfolgen.
Hierbei handelt es sich um einen einseitigen (Teil-) Ausfall der Gleichgewichtsfunktion (unilaterale Vestibulopathie), aufgrund einer entzündlichen Reaktion am Gleichgewichtsnerven (Nervus vestibularis, 8. Hirnnerv) im Innenohr. Symptome sind plötzlich einsetzender und über Tage anhaltender Drehschwindel mit Übelkeit/Erbrechen und Oszillopsien (Umgebung „wackelt“). Es kann zu einer Stand- und Gangunsicherheit mit eventuell begleiteter Fallneigung kommen. Die Symptome verstärken sich meist bei Augen- oder Kopfbewegungen. Die Ursache ist eine meist viral bedingte (reaktivierte Herpesinfektion) Entzündung des Gleichgewichtsnervens auf einer Seite und führt zu einem einseitiger (Teil-) Ausfall der Gleichgewichtsfunktion im Innenohr. Eine Diagnostik erfolgt durch klinisch apparative und körperliche Untersuchungen. Die Beschwerden klingen unter einer medikamentösen Therapie meist innerhalb einiger Tage wieder ab und unser Gehirn kann die Fehlfunktionen der Infektion gut kompensieren. Unterstützend kann ein spezielles Training zur Stärkung der Fixation, Augenbewegung und des Gleichgewichts wirken.
Wichtig: Für die Behandlung mit der VRT ist ein früher Beginn und eine frühe Mobilisierung, zur Förderung der Kompensation fördernd. Bitte vermeiden Sie, auch wenn es schwer ist, lange Ruhezeiten und Schonung.
Hierbei handelt es sich um einen bewegungsabhängigen Schwankschwindel und einer Gangunsicherheit, aufgrund einer Unterfunktion oder einem Komplettausfall beider Gleichgewichtsorgane im Innenohr. Als Symptome treten bei einem beidseitigen Gleichgewichtsausfall eine schwankende Gangunsicherheit auf, die sich bei Dunkelheit oder unebenen Untergrund verstärkt. Es besteht eine erhöhte Sturzgefahr. Es können zusätzlich noch Sehstörungen mit Wackelbildern auftreten. In Ruhe bestehen meist keine Beschwerden, d.h. im Sitzen und im Liegen ist man typischerweise beschwerdefrei. Die Ursachen können vielfältig sein. Hirnhautentzündung, Morbus menière, Autoimmunerkrankung, Medikamentennebenwirkung und Abbauprozesse können Auslöser für einen beidseitigen Gleichgewichtsausfall sein. Bei der Hälfte der betroffenen Patienten kann jedoch keine Ursache gefunden werden. Eine Diagnostik erfolgt neben einer körperlichen Untersuchung, durch eine Ohrspülung mit warmen und kaltem Wasser (Kalorik). Die ärztliche Behandlung erfolgt aufgrund der ursächlich auslösenden Situation. Wichtig für die Therapie ist unabhängig von der Diagnose, eine vestibuläre Rehabilitationstherapie mit regelmäßigem Gleichgewichts- und Gangtraining für die Schulung des Gleichgewichtssystems. Nur so kann eine Anpassung des Systems an die aktuelle Situation erfolgen.
Die Perilymphfistel ist eine seltene Erkrankung, bei der kurze Dreh-, oder Schwank-Schwindelattacken durch Husten, Niesen, Schnäuzen, Pressen (Valsalva) oder durch laute Töne ausgelöst werden können. Ursächlich für die Schwindelanfälle, ist eine pathologische Druckerhöhung im Innenohr und beschädigte Bereiche der häutigen Labyrinthwand im Innenohr. Eine Perilymphfistel heilt häufig innerhalb weniger Wochen selbständig wieder ab. Hier sollte eine große körperliche Anstrengung vermieden werden. Bei Einrissen in den „Fenstern“ der Innenohrwand können diese operativ verschlossen werden.
Eine Unterform der Perilymphfistel sind Dehiszenzsyndrome – hier kommt es durch eine fehlende knöcherne Abdeckung zu einem fehlenden Druckausgleich im Innenohr. Diese kann nur chirurgisch behoben werden.